
Neue Erkenntnisse aus der MS-Forschung
Die Erforschung der MS hat seit ihrer Entdeckung vor über 100 Jahren beträchtliche Fortschritte für MS-Patienten erzielt. Dennoch gibt es keinen Grund, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. Durch den Einsatz moderner und kontinuierlich weiterentwickelter Forschungsmethoden gewinnen wir beständig neue Erkenntnisse, die die Grundlagen neuer MS-Behandlungen und des Umgangs mit der Erkrankung bilden.
Ganz konkret gibt es seit einigen Jahren einen in der Fachwelt viel diskutierten Aspekt, der die Sicht auf die Erkrankung schon jetzt maßgeblich beeinflusst: die schwelende MS, die teilweise auch mit dem englischen Begriff „smouldering MS“ bezeichnet wird.
„Smouldering MS“ – eine neue Sicht auf die Erkrankung
Doch was genau verbirgt sich denn eigentlich hinter der schwelenden oder „smouldering“ MS? Dies möchten wir Dir in diesem Artikel etwas genauer erläutern.
Unter schwelender MS versteht man eine chronisch aktive bzw. langfristige Entzündung im zentralen Nervensystem (ZNS), also im Gehirn und Rückenmark. Sie verursacht eine schleichende Verschlechterung der MS mit Auswirkungen auf die alltäglichen Funktionen und Fähigkeiten, ohne dass Schübe auftreten. Dieses Phänomen wird als schubunabhängige Progression (PIRA) bezeichnet und kann zu einer irreversiblen Behinderungsakkumulation führen. Mit speziellen Magnetresonanztomographen (MRTs) aus der klinischen Forschung ließen sich metallumrandete Läsionen im Gehirn von MS-Patienten erkennen, die – ebenfalls wie langsam expandierende Läsionen – mutmaßlich im Zusammenhang mit der schwelenden MS stehen. Heute weiß man, dass die schwelende MS bereits früh im Krankheitsverlauf beginnt.
Ein alter Bekannter in neuem Licht
Es gibt ein bereits weit verbreitetes Modell, das Dir dabei helfen kann, dass Du Dir den Sachverhalt der schwelenden MS deutlicher vorstellen kannst: das Eisberg-Modell. Es basiert auf Untersuchungen, die zeigen, dass Patienten nur ca. 10–20 % der Krankheitsaktivität in Form von Schüben bzw. Symptomen wahrnehmen, während die restlichen etwa 80–90 % der Entzündungsaktivität ohne klinische Symptome verlaufen und nicht spürbar sind.
Auch dann, wenn Du als Betroffener die Auswirkungen nicht direkt, wie z. B. bei einem Schub, bemerkst, können sie demnach Deinen Alltag und Deine physischen sowie kognitiven Fähigkeiten bereits beeinflussen. Wie bei einem Eisberg spielt sich ein Großteil des Krankheitsgeschehens dabei unbemerkt unter der Oberfläche ab.
MS-Verschlechterung? Auf diese Anzeichen solltest Du achten
Die Veränderungen, die mit der schwelenden MS einhergehen können, entwickeln sich langsam, aber kontinuierlich. Aus diesem Grund solltest Du nicht nur auf plötzlich auftretende Symptome achten, sondern auch auf MS-Verschlechterungen, die sich über einen längeren Zeitraum einschleichen. Stellst Du beispielsweise fest, dass die Gehstrecke, die Du am Stück zurücklegen kannst, kürzer wird oder bist du häufiger von Fatigue betroffen? Dies können ebenso mögliche Anzeichen für eine schwelende MS sein wie eine verringerte geistige Leistungsfähigkeit (Kognition), die sich beispielsweise durch Konzentrationsprobleme bemerkbar machen kann. Wenn eines oder mehrere dieser Symptome bei Dir auftreten, solltest Du diese abklären lassen – Dein Arzt kann am besten abschätzen, ob Du von der schwelenden MS betroffen sein könntest.
„Slowly expanding lesions“ – was das MRT über Progression verrät
Die Symptome der schwelenden MS sind also häufig schleichend, subtil und schwer greifbar. Um die Progression sichtbar zu machen, bedarf es also anderer Methoden – allen voran die Magnetresonanztomographie (MRT). Auf MRT-Bildern lassen sich schwelende Entzündungsprozesse anhand bestimmter Marker erkennen. Eine wichtige Rolle spielen dabei „slowly expanding lesions (SEL)“, also langsam expandierende Läsionen, die sich im ZNS ausbreiten. Sie wachsen, wie der Name schon sagt, über einen längeren Zeitraum hinweg. Sie können das Nervensystem schädigen und eine Verschlechterung der neurologischen Funktionen hervorrufen.
Werden SEL im MRT-Bild sichtbar, deutet dies also darauf hin, dass die MS fortschreitet und die Entzündung „schwelt“ – auch, wenn keine Schübe auftreten. Studiendaten zeigen, dass bei 99 Prozent der Patienten mit sekundär progredienter MS (SPMS) mindestens eine dieser Läsionen nachweisbar war. Dabei verschlechterte sich die MS sich umso stärker, je mehr SEL ein Patient zu Beginn hatte.
Da moderne MS-Therapien nicht nur Schübe verhindern, sondern auch die Progression verlangsamen sollen, ist bei SEL im MRT-Scan möglicherweise eine Therapieanpassung sinnvoll – Dein Arzt kann Dir in diesem Fall Deine Möglichkeiten erläutern. SEL könnten perspektivisch auch eine stärkere Rolle in der MS-Forschung spielen – etwa, um den Krankheitsverlauf vorherzusagen oder die Wirksamkeit von neuen Medikamenten zu beurteilen. Auch soll herausgefunden werden, ob die Entstehung von SEL mit bestimmten Behandlungen gezielt aufgehalten werden können.
Schwelende MS im Fokus neuer Therapieziele
Die neuen Erkenntnisse aus der Wissenschaft zur schwelenden MS haben auch Auswirkungen auf die Therapieziele: Im Fokus der Forschung steht derzeit das Eindämmen der chronisch aktiven Entzündung im ZNS.
Bei den heutigen, modernen MS-Therapien steht eine effektive Bekämpfung des akuten Entzündungsgeschehens im Vordergrund – mit dem Ziel, Folgeschäden möglichst zu verhindern. Dies funktioniert am besten, indem frühzeitig eine hochwirksame Therapie gestartet und diese auch konsequent durchgeführt wird: Deine Adhärenz spielt also eine Schlüsselrolle bei der Krankheitskontrolle! Denn auch, wenn Du Dich symptomfrei, fit und belastbar fühlst, kann die MS weiterhin aktiv sein. Zudem ist es wichtig, dass Du auf körperliche und psychische Veränderungen achtest und diese mit Deinem Arzt besprichst. Möglicherweise ist dann eine Anpassung Deiner Therapie sinnvoll.
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DE-NONNI-00867, 03/2025