Diagnose MS – So wird die Krankheit erkannt
Eine Krankheit, 1.000 Gesichter. Das sieht man bereits bei der Diagnose, denn den EINEN MS-Test gibt es nicht.
Anamnese, MRT, neurologische Untersuchung, McDonald-Kriterien und mehr – der lange Weg zur Diagnose MS
Multiple Sklerose (MS) ist eine Krankheit, die mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann. Da diese zu Beginn oftmals recht unspezifisch sind oder von anderen Erkrankungen verursacht werden können, benötigt es meist mehrere Untersuchungen und Zeit für eine gesicherte MS-Diagnose.
Fragen und Sorgen rund um das Thema Diagnose MS bewegen viele Betroffene, aber auch Menschen, die noch nicht sicher wissen, ob sie erkrankt sind. Dies zeigt sich auch bei den Fragen an unseren Expertenrat: Sehr häufig werden dort Sorgen geäußert, ob ein bestimmtes Symptom auf Multiple Sklerose hindeuten könnte. Das ist leider nicht immer eindeutig zu sagen und eine gesicherte Diagnose liefert nur der Besuch beim Arzt. Dieser muss, wie Du sehen wirst, eine Vielzahl an Untersuchungen durchführen, bevor die Diagnose Multiple Sklerose gestellt werden kann.
Die Anamnese – das Gespräch zu Beginn der MS Diagnostik
Als erstes benötigt Dein Arzt einige Informationen über Dich und Deine Symptome. In diesem Anamnesegespräch wirst Du beschreiben, wann Deine Beschwerden zum ersten Mal aufgetreten sind und wie sie sich seitdem äußern. Sind sie anhaltend oder gerade im Moment nicht präsent? Seit wann hast du die Symptome oder wie lange haben sie angedauert? Zusätzlich zu den akuten Beschwerden, wird sich Dein Arzt über frühere Erkrankungen erkundigen und auch Informationen aus deinem sozialen und persönlichen Umfeld erfragen. An diesem Punkt ist es wichtig, dass Du alles „auf den Tisch legst“. Selbst wenn Dir etwas vielleicht unwichtig erscheint oder sogar peinlich ist, lass nichts aus. Die Anamnese ist wichtig, damit Dein Arzt ein vollständiges Bild von Dir und Deinen Symptomen bekommt, um von da aus die weiteren Untersuchungen starten zu können.
Neurologische Untersuchung bei MS – Check des Nervensystems
Nach der Anamnese schließen sich die körperlichen Untersuchungen zur Diagnosestellung an. Da MS eine Krankheit ist, die die Nerven betrifft, prüft Dein Arzt genau das: die Funktion Deines Nervensystems.
- Sensibilität: Dein Arzt kontrolliert die Wahrnehmung von Berührungen, Schmerz, Temperatur und Vibration.
- Reflexe: verändertes Reflexverhalten, sei es durch abgeschwächte, fehlende oder gesteigerte Reflexe, ist typisch für MS. Dein Arzt untersucht das mit dem Reflexhämmerchen (Perkussionshammer).
- Motorik: Du wirst verschiedene Beuge- und Streckbewegungen ausführen müssen und z.B. durch Handdrücken zeigen, welche Kraft Du aufbringen kannst. Dies dient der Überprüfung Deiner Muskelfunktion.
- Evozierte Potentiale: Mit Hilfe dieses Tests wird die Leitfähigkeit der Nervenbahnen geprüft. Dazu wird ein Reiz, z.B. ein kleiner Stromimpuls oder auch ein akustisches Signal, erzeugt und anschließend gemessen, ob dieser in Deinem Gehirn ankommt und verarbeitet wird. Keine Sorge, die Untersuchung ist nicht schmerzhaft. Zur Messung der evozierten Potentiale benutzt man z.B. eine EEG (Elektroenzephalografie).
- Psychischer Befund: Auch Dein Geist ist Teil des Körpers und deshalb wichtig für eine MS-Diagnose. Dein Arzt wird nicht nur Deine Stimmungs-, sondern auch Deine Bewusstseinslage überprüfen: Fühlst Du Dich benommen? Kannst Du klar denken? Fühlst Du dich ungewöhnlich müde oder erschöpft?
Labordiagnostik zur Feststellung der MS
Neben den körperlichen Untersuchungen spielen die Untersuchungen von Blut und Nervenwasser (Liquor) ebenfalls eine wichtige Rolle. Es sind unterschiedliche Herangehensweisen für dasselbe Ziel: Bestätigung oder Ausschluss der MS.
1. Blutbild:
nicht zur Feststellung der MS an sich, sondern zum Ausschluss anderer Krankheiten, die Deine Symptome verursachen könnten. Klassische Marker im Blutbild wie Leber- und Nierenwerte, aber auch Entzündungswerte verändern sich bei MS nämlich nicht (anders als z.B. bei Infektionskrankheiten, Blutarmut etc.). Bedingt durch das Fehlen auffälliger Blutwerte bei MS gibt es bisher noch keinen Bluttest zum direkten Nachweis der Erkrankung.
2. Liquordiagnostik:
anders ist das bei der Untersuchung des Nervenwassers (Liquor), denn hier lassen sich typische MS-spezifische Veränderungen feststellen. Das Nervenwasser ist eine klare, farblose Flüssigkeit, die Dein komplettes zentrales Nervensystem umgibt. Es dient dem Schutz und der Versorgung des Nervengewebes.
Zur Untersuchung wird eine sog. Lumbalpunktion durchgeführt. Das bedeutet, dass Dein Arzt mit einer feinen Nadel auf Höhe Deiner Lende in den Wirbelkanal in den Rücken sticht und etwas Liquor entnimmt. Auch, wenn die Punktion oftmals als unangenehm empfunden wird, muss man sich deswegen keine Sorgen machen. Der Eingriff ist Routine und kann unter örtlicher Betäubung vorgenommen werden.
Das entnommene Nervenwasser wird dann im Labor auf die typischen Anzeichen für eine MS untersucht, z. B. eine erhöhte Zahl an bestimmten Abwehrzellen, aber vor allem interessiert man sich für das Vorhandensein von Antikörpern. Diese weisen auf eine Entzündung in der Hirnflüssigkeit hin. Mit der Analysemethode, die man nach der Entnahme des Liquors anwendet, können die Antikörper ihrer Größe nach aufgetrennt werden. Bei der Auswertung zeigt sich ein ganz charakteristisches Muster, die sogenannten oligoklonalen Banden.
Nun wird doch noch einmal Dein Blut wichtig. Denn parallel zur Entnahme des Nervenwassers wird auch eine Blutprobe genommen und analysiert. Warum? Auch hier sucht man nach Antikörpern und damit nach Anzeichen für eine Immunreaktion. Es wird dieselbe Analysemethode angewandt und Antikörper nach ihrer Größe aufgetrennt. Man erhält wieder ein Bandenmuster. Das vergleicht man dann mit dem aus der Liquoruntersuchung. Zeigen sich Banden, die nur im Liquor und nicht im Blut vorkommen, deutet dies auf eine Immunreaktion hin, die exklusiv nur im zentralen Nervensystem abläuft, und damit möglicherweise auf MS.
Der Blick direkt ins Gehirn mittels MRT zur Feststellung von MS
Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist eine wichtige Methode zur Diagnose der MS, denn sie kann Veränderungen am Gehirn bereits in sehr frühen Stadien der Krankheit zeigen, z. B. noch bevor erste sichtbare (klinische) Symptome auftreten. Das MRT ist vollkommen schmerzfrei, Du wirst nur für etwa 15–30 Minuten „in die Röhre“ geschoben und musst still liegen.
Im MRT lassen sich die für MS typischen Entzündungsherde, die sog. Läsionen, im Gehirn darstellen. Man kann sogar zeigen, ob eine Entzündung frisch ist oder ob es sich um eine bereits abgeklungene Läsion handelt. Dazu erhältst du vor der Untersuchung ein Kontrastmittel. Dieses lagert sich unterschiedlich stark in den entzündeten Bereichen ab, je nachdem ob die Entzündung akut ist oder nicht. Das MRT bietet damit nicht nur zur Diagnose der MS Vorteile, sondern auch zur späteren Kontrolle des Krankheitsverlaufs und des Therapieerfolgs.
Augenärztliche Untersuchung zur Diagnose der MS
Für eine Diagnose kann es außerdem nötig sein, Deine Augen zu untersuchen, da eine Entzündung des Sehnervs ein häufiges Symptom der MS ist. Dazu können z. B. Deine Augenbewegung gemessen werden oder die Reaktion Deiner Pupillen. Bei Entzündungen Deines Sehnervs oder anderer Gehirnbereiche kann die Funktion Deiner Augen gestört sein.
Die gesicherte Diagnose MS – McDonald-Kriterien
Um aus den Ergebnissen all Deiner Untersuchungen eine gesicherte Diagnose stellen zu können, stehen Deinem Arzt die McDonald-Kriterien zur Verfügung (aktuelle Version von 2017 hier einsehbar). Diese unterscheiden sich je nach der Form Deiner MS, also ob sie schubförmig oder chronisch progredient verläuft.
Nimmt man die schubförmige MS als Beispiel, so muss bei Dir laut McDonald mindestens ein Entzündungsherd im Gehirn oder Rückenmark per MRT feststellbar sein und Du musst zusätzlich mindestens einen klinischen Schub gehabt haben. Ein Schub ist bei den meisten MS-Betroffenen der Zeitpunkt, in dem die Krankheit zum ersten Mal durch dich selbst wahrgenommen wird. Was ihn ausmacht und wie Du ihn erkennst, sagen wir Dir hier.
Diagnose MS und dann?
Es ist oft ein langer und beschwerlicher Weg bis zur Diagnose MS und wenn diese schließlich gesichert ist, fragt man sich vielleicht: Und jetzt? Das ist verständlich, genauso wie jede Sorge oder Angst, die man wegen der Krankheit hat. Sprich mit Deinem Arzt über alles, was Dich bewegt oder worüber Du Dir Gedanken machst. Eine wichtige Anlaufstation für Dich kann auch die MS Nurse bzw. MS-Schwester sein. Sie sind speziell weitergebildete Fachkräfte, die Dir bei allen Fragen und Themen rund um die MS Unterstützung geben können. Beschäftigt sind sie meist in MS-Schwerpunktzentren oder Reha-Zentren.
Es hat sich viel getan in der MS-Therapie und verschiedenste Therapieoptionen stehen inzwischen zur Verfügung. Welche für dich in Frage kommen? Auch darüber informiert Dich Dein Arzt. Auch kann es helfen, mit anderen über die Krankheit zu sprechen. Es gibt psychologische Betreuung, Selbsthilfegruppen mit anderen Betroffenen oder sieh Dir vielleicht auch unsere Mutmachgeschichten an. Hier erzählen andere MS-Betroffene, wie sie mit der Krankheit umgehen und ihr Leben meistern.
Wenn Du darüber hinaus noch mehr Informationen rund um die Erkrankung möchtest, können wir Dir unsere Patientenbroschüren empfehlen. Dort findest Du von Infos zur Diagnose, über den Alltag mit MS, bis hin zum Impfen mit MS alles, was man für ein kompromissfreies Leben mit MS benötigt.
DE-NONNI-00370 (01/2023)