Ein Teil der Immunabwehr sind Entzündungen. Das sind komplexe Reaktionen unseres eigenen Körpers, deren Sinn es ist, einen schädigenden Reiz wie z. B. Krankheitserreger zu beseitigen, indem sie die Immunabwehr verstärken oder dafür sorgen, dass infizierte Körperzellen beseitigt werden. Eine Entzündung ist also im Normalfall eine Schutzreaktion unseres Körpers.
Was ist Multiple Sklerose?
Hier geben wir Dir Informationen zu den Ursachen und Abläufen bei Multipler Sklerose.
Die Krankheit der tausend Gesichter
Die Diagnose Multiple Sklerose ist erst einmal ein Schock. Plötzlich steht da etwas im Raum, das das Leben über den Haufen wirft. Informationen über die Krankheit und Therapien prasseln auf einen ein und es fällt schwer, alles zu verarbeiten und einzuordnen. Wir wollen deshalb an dieser Stelle und auch in den anderen Beiträgen zu Symptomen, Diagnose, Therapie und Forschung versuchen, die Flut an Informationen und Fakten, die es zur MS gibt, für Dich ein bisschen in geordnete Bahnen zu leiten. Denn eines steht fest: Auch wenn es gerade zu Beginn viel ist, das Wissen über die Erkrankung hilft Dir, besser mit ihr umzugehen.
MS heißt zwar die Krankheit der 1.000 Gesichter, weil sie für jeden Betroffenen anders verläuft, aber das bedeutet nicht, dass Du allein mit deiner Erkrankung bist. Weltweit sind etwa 2,8 Millionen Menschen von MS betroffen, ungefähr doppelt so viele Frauen wie Männer. Diese leben zu großen Teilen in Gegenden nördlich bzw. südlich des Äquators. Am nullten Breitengrad ist die Erkrankungshäufigkeit tatsächlich am geringsten. Die Krankheit beginnt bei den meisten Betroffenen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, nur ein geringer Anteil von etwa 3–5% sind Kinder bzw. Jugendliche. In Deutschland leben etwas mehr als 250.000 Menschen mit Multipler Sklerose.
Die Betonung liegt auf „leben“, denn dank den Fortschritten in Diagnose und Therapie ist dies in den allermeisten Fällen gut und kompromissfrei möglich, solange man eine effektive Behandlung konsequent verfolgt.
Was passiert bei MS?
Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, dass sie von Deinem eigenen Immunsystem ausgelöst wird. Dieses ist normalerweise für die Abwehr von Krankheitserregern, also Viren und Bakterien zuständig. Die Zellen des Immunsystems können „fremde“ Strukturen erkennen und lösen gegen diese eine Immunreaktion aus. Dabei wichtig sind die sogenannten B- und T-Zellen. Sie sind die „Spezialisten“ Deiner Immunabwehr und können hocheffektive Reaktionen gegen ganz bestimmte Oberflächenstrukturen von Krankheitserregern auslösen. Normalerweise zirkulieren sie im Körper und befinden sich außerhalb des ZNS.
Bei MS verwechseln diese Spezialisten Deines Immunsystems allerdings fremd und eigen. Die von den B- und T-Zellen ausgelöste Immunreaktion richtet sich gegen körpereigene Zellen in Deinem eigenen zentralen Nervensystem (ZNS). Das ZNS besteht aus Gehirn, Rückenmark und den vielen Milliarden Nervenzellen, die alles miteinander verbinden. Genauer gesagt tun das die Nervenfasern zwischen den Zellen. Informationen werden über diese in Form von elektrischen Signalen weitergeleitet. Das kann mit enormer Geschwindigkeit passieren, weil die Nervenfasern von einer schützenden Schicht umgeben sind, die man Myelinscheide nennt. Du kannst Dir das wie die Isolierung an einem Stromkabel vorstellen.
Die fehlgeleiteten B- und T-Zellen greifen aber genau diese Myelinscheide an, lösen Entzündungen aus und zerstören so die „Isolierung“ Deiner Nerven. Das ist ein Vorgang, der Demyelinisierung genannt wird. Dadurch können Signale nicht mehr so schnell oder im schlimmsten Fall, bei irreversiblen Schäden des Myelins, gar nicht mehr über die betroffenen Nervenbahnen weitergeleitet werden.
Bei MS läuft im Nervensystem ein Wechselspiel aus Schädigung der Nerven und Reparatur derselben ab. Betreffen die MS-typischen Entzündungen größere Bereiche der Nerven, bleiben Narben zurück, die man Läsionen nennt und die man z. B. bei der Diagnose der Erkrankung in der Magnetresonanztomographie (MRT) sehen kann. Werden zu viele Bereiche Deines Nervensystems gleichzeitig angegriffen und geschädigt, kann Dein Körper nicht mehr alle Schäden rechtzeitig reparieren. Die betroffenen Nervenverbindungen werden dadurch sozusagen durchtrennt und die Signalweiterleitung ist nicht mehr möglich. Durch diese Entzündungsvorgänge im ZNS und die gestörte Signalweiterleitung entstehen die für MS typischen Symptome, die Du z. B. während eines Schubs spürst. Weil diese Schäden überall im Nervensystem auftreten können, sind die Symptome der Erkrankung so vielfältig.
Türsteher des ZNS – Die Rolle der Blut-Hirn-Schranke bei MS
Nun sind Gehirn und Nerven sehr wichtige Teile Deines Körpers. Empfindlich sind sie ebenfalls und brauchen ein ganz bestimmtes und stabiles Umfeld, um richtig zu funktionieren. Deshalb sind sie von einer Barriere umgeben, die das ZNS vom Rest Deines Körpers trennt. Diese Barriere ist die Blut-Hirn-Schranke. Sie verhindert, dass bestimmte Bestandteile Deines Bluts ins ZNS gelangen können. Andere Stoffe, die für die Funktion des ZNS notwendig sind, wie z.B. Sauerstoff oder Zucker, werden dagegen durchgelassen.
Bei Multipler Sklerose ist die Schutzfunktion der Blut-Hirn-Schranke gestört. Der Schutzschild wird also durchlässig und fehlgeleitete Immunzellen können ins ZNS eindringen. Was genau die Störung der Blut-Hirn-Schranke verursacht, ist ein zentrales Thema der MS-Forschung, ist aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt.
Was sind die Ursachen von Multipler Sklerose?
Du hast also nun gesehen, was bei MS im Nervensystem geschieht, und stellst Dir vermutlich die Frage: Warum passiert das? Was löst es aus? Die Wissenschaft fragt sich genau dasselbe, denn obwohl man inzwischen viel über die Erkrankung und v. a. auch über ihre Therapie weiß, sind die Auslöser des Ganzen weiterhin unbekannt. Hypothesen gibt es aber einige. Ein paar davon wollen wir hier zumindest anreißen. So viel vorab: Es ist wahrscheinlich nicht nur ein einzelner Faktor, der die Krankheit verursacht, sondern ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Dinge.
- Genetische Faktoren: Du bist ein Produkt Deiner Gene. So sagt man zumindest. Doch ist auch MS eine Folge Deiner genetischen Veranlagung? In gewisser Weise und dennoch nicht. MS ist keine klassische Erbkrankheit. Das bedeutet, dass Du sie nicht direkt an Deine Kinder weitergeben kannst. Nur eine gewisse Veranlagung dazu. Bist Du selbst an MS erkrankt, so beträgt das Risiko für Deine Kinder in etwa 2 % im Laufe ihres Lebens ebenfalls daran zu erkranken. Man wird eben nicht nur von den Genen bestimmt, sondern auch von der Umwelt.
- Umweltfaktoren: Da MS am Äquator weniger häufig vorkommt, ist es naheliegend, an eine Rolle von Vitamin D als einen solchen Umweltfaktor in der Entstehung der Erkrankung zu denken. Unser Körper produziert Vitamin D selbst, doch dafür benötigt er UV-Strahlung, also die Sonne. Davon gibt es am Äquator bekannterweise am meisten. Studien lassen ein gewisses „Schutzpotential“ von Vitamin D vermuten, doch einen definitiven Beweis dafür konnte man noch nicht finden.
- Lebensstil: Ein Faktor, der die MS aber definitiv beeinflusst, ist das Rauchen. Raucher haben nicht nur ein höheres Risiko, dass die Erkrankung ausbricht, sondern auch eine schlechtere Prognose hinsichtlich des Voranschreitens der MS. Ähnliche Zusammenhänge wurden ebenfalls für Übergewicht gefunden.
- Infektionshypothese: Und wie sieht es mit Krankheitserregern aus? Kommen Viren und Bakterien als Verursacher der MS in Frage? Nicht direkt, denn natürlich ist MS keine klassische Infektionskrankheit wie z.B. die Grippe. Dennoch werden Infektionen mit bestimmten Erregern mit einem erhöhten MS-Risiko in Verbindung gebracht. Ein Virus, dem man eine ganz besondere Rolle dabei zuschreibt, ist das Epstein-Barr-Virus (EBV). Eine Studie von 2022 konnte zeigen, dass eine EBV-Infektion das Risiko für MS um das 32-fache steigerte. Einmal mehr ist noch nicht klar, warum genau das so zu sein scheint, aber eine Theorie ist, dass das Virus unser Immunsystem in eine Richtung drückt, die die Reaktionen gegen die körpereigenen Strukturen begünstigt.
Symptome, Verlauf, Diagnose und Therapie von MS
Multiple Sklerose ist eine sehr individuelle Erkrankung und verläuft nie gleich. Dennoch unterscheidet man prinzipiell zwischen drei unterschiedlichen Verlaufsformen. Das sind der schubförmig-remittierende Verlauf, der sekundär chronisch-progrediente Verlauf und der primär chronisch-progrediente Verlauf. Bei den meisten Betroffenen beginnt die Erkrankung schubförmig-remittierend. Was bedeutet das? Es treten Schübe auf, die sich im Normalfall vollständig wieder zurückbilden (remittieren). Von einem Schub spricht man dann, wenn ein oder mehrere MS-typische Symptome auftreten und für mehr als 24 Stunden anhalten. Wenn Du mehr über die Verlaufsformen der Krankheit und Schübe erfahren willst, empfehlen wir Dir unseren Artikel dazu. Mehr über die Symptome der MS findest du hier.
Für das Leben mit MS – Die LMMS-Community
Multiple Sklerose ist komplex. Multiple Sklerose ist individuell. Genau wie Du. Ein guter Anfang ist es, sich über die Erkrankung schlau zu machen und den Schleier des Unbekannten zu lüften. Der Anfang ist also gemacht. Wenn Du jetzt noch mehr Informationen zu MS willst, dann empfehlen wir Dir unsere Broschüren dazu. Auch hilft es sicherlich, wenn Du Dich mit anderen Betroffenen austauschst. In unseren Mutmachgeschichten berichten MS-Erkrankte von ihrem Leben mit MS und wollen anderen damit Mut machen. Schau gern mal vorbei und lies Dir ihre Tipps durch. Wenn Du eher den direkten Austausch mit anderen suchst, empfehlen wir Dir die LMMS-Community auf Facebook und Instagram.
Wir hoffen, dass wir Dir damit auf dem Weg zu einem kompromissfreien Leben mit MS helfen können.
DE-NONNI-00430 (04/23)