MS – Krankheit der 1.000 Gesichter

Man nennt Multiple Sklerose nicht umsonst die Krankheit mit den tausend Gesichtern. Warum das so ist? Weil es das typische Krankheitsbild, also die typische MS, nicht gibt. Stattdessen können eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome auftreten. Das macht nicht nur die Diagnose der Krankheit schwer, sondern belastet natürlich auch Betroffene. Symptome und Anzeichen der MS können komplett unterschiedlich sein und um das Ganze noch etwas komplizierter zu machen: Oft sind sie für Außenstehende noch nicht einmal direkt erkennbar.

Man sieht es Dir nämlich oftmals nicht an, dass Du MS hast. Viele Deiner Symptome sind „unsichtbar“. Das ist zum einen gut, weil Du Dein Leben erstmal wie gewohnt weiterführen kannst, aber es kann genauso gut zu einer Belastung werden, wenn Dein Umfeld nicht versteht, dass Dich die MS möglicherweise einschränkt. Natürlich gibt es auch Symptome, die man sieht, wenn Du z. B. aufgrund eines Schubs vorrübergehend Gangstörungen entwickelst. Dennoch gibt es viele Beschwerden bei MS, die nicht sofort für jeden ersichtlich sind.

So unterschiedlich diese Symptome und Anzeichen auch sein können, ihre Ursache ist immer gleich: Dein eigenes Immunsystem verursacht Entzündungen im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark). Das führt zu einer Schädigung der Nerven und damit zu einer gestörten Reizweiterleitung. Beschwerden, Symptome und Anzeichen können sich übrigens durchaus auch je nach Verlaufsform Deiner MS unterscheiden. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, wirst du hier fündig. Wir werden Dir hier nicht jedes Gesicht der Krankheit zeigen können, aber immerhin ein paar der häufigsten Beschwerden. Körperliche wie auch psychische

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Eine Sehnerventzündung kann ein erstes Anzeichen der MS sein

Unscharfes Sehen? Probleme damit, Farben zu erkennen? Schmerzen, wenn Du die Augen bewegst? Lichtblitze? Doppelbilder? Oder ein unkontrolliertes und rhythmisches Zittern der Augen? Das sind Anzeichen für eine Sehnerventzündung und mit dieser bist Du nicht allein.

Sehstörungen sind bei mehr als einem Drittel aller Betroffenen eines der ersten Anzeichen der MS. Im Laufe der Erkrankung haben sogar mehr als drei Viertel aller Patienten damit zu kämpfen. Auslöser ist oftmals eine Entzündung des Sehnervs, eine sog. Optikusneuritis, aber auch Entzündungen anderer Hirnnerven können die Funktion Deiner Augen beeinträchtigen. Der Sehnerv ist dennoch oftmals schon beim ersten Schub der MS betroffen. Sehstörungen können im Verlauf der Krankheit immer wieder auftauchen und betreffen meist nur ein Auge.

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Was solltest Du nun aber tun, wenn Du bei Dir Probleme mit dem Sehen bemerkst? Umgehend mit Deinem Augenarzt und Neurologen sprechen. Denn nur sie können feststellen, ob die Beschwerden mit Deiner MS zusammenhängen oder eine andere Ursache haben. Dazu werden Deine Augen getrennt voneinander untersucht, z.B. mittels einer Gesichtsfeldüberprüfung oder mit Hilfe evozierter Potenziale. Das ist eine Untersuchung, der Du möglicherweise schon einmal bei der Diagnose der MS begegnet bist.

Wenn die Ursache Deiner Sehstörungen die MS ist (z.B. bei einem Schub), dann bilden sie sich in der Regel nach einigen Tagen von selbst wieder zurück. In schwerwiegenderen Fällen besteht die Möglichkeit, dass du hochdosierte Kortikoide (zur Entzündungshemmung) erhältst oder andere Medikamente, die bei den Symptomen helfen. Und Du selbst? Du kannst ebenfalls etwas tun. Die beste Prävention von Schüben und damit für die Symptome, die mit Ihnen einhergehen, ist eine effektive und wirksame MS-Therapie. Zusammen mit Dingen, die dir guttun, dich entspannen und möglichst wenig Stress, sind das die Bausteine für ein kompromissfreies Leben mit MS.

Fatigue und MS – Bleierne Erschöpfung und Belastung für Betroffene

Fatigue ist das wohl häufigste Symptom bei MS. Bis zu 80 Prozent aller Betroffenen leiden darunter und das oft schon bei Krankheitsbeginn. Fatigue ist ein Zustand massiver, oftmals unerklärlicher und vor allem wiederkehrender Erschöpfung. Sie kann sich über Stunden ziehen und ohne Vorwarnung zuschlagen. Mit normaler „Müdigkeit“ ist Fatigue nicht vergleichbar.

Fatigue ist ein klassisches unsichtbares Symptom der MS, denn Deine Erschöpfung sieht man dir nicht an. Das kann zu Unverständnis führen und ist eine Belastung für Betroffene. Man unterscheidet zwischen körperlicher und geistiger Fatigue. Die meisten Menschen mit MS haben beides, wenn aber auch in unterschiedlicher Ausprägung. Die genauen Ursachen der Fatigue kennt man leider nicht und auch die Diagnose ist schwierig. Wichtig ist eine offene Kommunikation mit Deinem Arzt/Behandlungsteam und Deinem Umfeld.

Was kannst Du selbst tun, wenn Du an Fatigue leidest? Einiges! Verteile Aufgaben sinnvoll über den Tag. Treibe Sport, denn gerade Ausdauersportarten helfen, Deine Belastbarkeit zu steigern. Doch auch Entspannung ist wichtig und Stress sollte so gut es geht vermieden werden. Noch mehr Informationen und Hilfe in Sachen Fatigue bekommst Du in unserem Artikel dazu.

Warum dieses Kribbeln auf der Haut? Wahrnehmungsstörungen und kognitive Störungen bei MS

Was war gleich nochmal Dein Handy-PIN? Das Wort, das Du suchst? Und was soll eigentlich dieses seltsame Kribbeln auf der Haut? Wenn Dir das bekannt vorkommt, dann geht es Dir, wie ungefähr 40 Prozent aller Menschen mit MS, die an kognitiven Störungen und Wahrnehmungsstörungen leiden. Bereits in frühen Krankheitsphasen können diese auftreten. Für Aufgaben, die Du früher mit links gemeistert hast, brauchst Du plötzlich ungewöhnlich lang. Die Konzentration reicht nur noch für ein To-Do, wo Du früher gefühlt mit beiden Händen und Füßen jeweils unterschiedliche Dinge erledigt hast.

Doch nicht nur Deine Aufmerksamkeit und Dein Gedächtnis können betroffen sein, auch Deine Wahrnehmung kann sich verändern. Deine Haut wird auf einmal taub, sie kribbelt oder du fühlst grundlos Wärme oder Kälte. Solche Empfindungsstörungen sind ebenfalls typische Symptome der Krankheit MS.

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Neben einer effektiven MS-Therapie, die das Voranschreiten der Krankheit verhindern soll, kannst Du selbst noch weitere Dinge für Deine Kognition tun. Informiere Dich über spezielle Gedächtnisübungen, hilf Dir mit To-Do-Listen, mach genügend Pausen und, und, und.

Diagnose MS und dann? Psychische Belastung und Depression bei MS

Die Diagnose MS ist meist ein Schock, oft gefolgt von einem Gefühl der Verzweiflung oder gleich einem ganzen Gefühlssturm. Denn leider wirkt sich die Krankheit auch auf Dein seelisches Wohlbefinden aus. Menschen mit MS haben ein deutlich höheres Risiko an einer Depression zu erkranken als Gesunde. Die Gründe dafür sind (wie auch bei Menschen ohne MS) komplex und vielfältig.

Wie wird die Krankheit verlaufen? Treten neue Schübe auf? Symptome, die bleiben? Wirkt sich die MS auf Job, Familie, Beziehungen aus? Anhaltende Sorgen und chronischer Krankheitsstress können Gift für die Seele sein. Solltest Du also an anhaltender Traurigkeit leiden, unmotiviert sein, hoffnungslos, ohne Freude an Dingen, die Dir immer Spaß gemacht haben, Dich aus dem sozialen Leben zurückziehen oder z.B. plötzlich zu ungewöhnlichen Gefühlsausbrüchen neigen, dann sind das alles Warnzeichen für eine Depression.

Auch wenn es schwer erscheint oder peinlich, mach Dir immer bewusst: Du musst das nicht allein durchstehen! Das solltest du auch gar nicht! Such Dir Hilfe dabei. Tausche Dich mit anderen Betroffenen aus z.B. in einer MS Selbsthilfegruppe. Sprich mit Deinem Arzt darüber und lass Dich zu einem Psychotherapeuten überweisen. Eine Depression ist kein Anzeichen von Schwäche. Professionelle Hilfe suchen kein Grund sich zu schämen. Wenn Dein Fuß gebrochen ist, gehst Du zum Chirurgen. Wenn Deine Seele verletzt ist, eben zum Psychotherapeuten. So einfach ist das, auch wenn es vielleicht erstmal nicht so erscheint.

Hilfe bei Depressionen

Wenn Du den Verdacht hast, von Depressionen oder anderen psychischen Beschwerden betroffen zu sein, informiere Dich am besten bei Deinem Arzt oder einem Psychotherapeuten über professionelle Behandlungsmöglichkeiten. In Notfällen gibt es Krisendienste, die Du zur akuten Hilfe in Anspruch nehmen kannst:


  • Der Sozialpsychiatrische Dienst bietet in vielen Städten Hilfe für Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige an. Die Kontaktdaten zu Deinem nächstgelegenen Sozialpsychiatrischen Dienst erhältst Du vom Gesundheitsamt oder über eine Internetsuche „Sozialpsychiatrischer Dienst + Dein Wohnort“.
  • Das Info-Telefon Depression 0800 – 33 44 533 (Mo, Di, Do 13 – 17 Uhr; Mi, Fr 08:30 – 12:30 Uhr) ist ein Angebot der Deutschen Depressionshilfe und bietet krankheitsbezogene Informationen sowie Hinweise zu Anlaufstellen.

Das Krankheitsbild MS kann viele Auswirkungen auf Deinen Körper haben

Eine Krankheit, 1000 Gesichter. Dieser Artikel könnte also zu einem kleinen Buch werden. Auch wenn das den Rahmen sprengen würde, wollen wir Dich dennoch wenigstens noch über ein paar weitere der körperlichen Symptome der MS informieren:

  • Verlust der Muskelkraft: Je nach Verlauf der Krankheit kommt es bei vielen Menschen mit MS zu einer Muskelschwäche. Diese kann sich zu Lähmungserscheinungen und Spastiken ausweiten. Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium treten gerade diese bei rund 70 Prozent aller Patienten auf. Spastiken können überall im Körper auftreten, meist sind jedoch die Muskeln in den Beinen betroffen, so dass man z.B. die Knie nicht mehr beugen oder die Füße nicht mehr heben kann.
  • Bewegungsstörungen: Verursacht werden diese durch Beeinträchtigung der Nerven im Kleinhirn. Davon gibt es dort immerhin mehr als 200 Millionen mit den unterschiedlichsten Funktionen. Die Folge können Koordinationsprobleme, Schwindel, Händezittern oder auch unsicherer und schwankender Gang sein. Eine Physiotherapie kann helfen, diese Beschwerden zu lindern.
  • Blasen- und Darmstörungen: Die MS kann die Funktion Deiner Blase und auch Deine Verdauung beeinträchtigen. Was den Darm betrifft, zählt v.a. Verstopfung (seltener Stuhlinkontinenz) zu den häufigen Symptomen. In Sachen Blase sind es ständiger Harndrang, „Starthemmungen“ beim Wasserlassen, aber auch die unvollständige Entleerung der Blase, die ins Gewicht fallen. Gerade im Frühstadium der Krankheit lassen sich diese Symptome aber medikamentös oder anderweitig positiv beeinflussen.
  • Sexualstörungen: MS hat bei vielen Menschen Einfluss auf ihre Sexualität. Je nachdem, wo man nachliest, sind Sexualstörungen drei- bis viermal so häufig bei MS-Betroffenen im Vergleich zu Gesunden. Durch Schädigung der Nerven kann es zum Verlust der sexuellen Energie (Libido) kommen, Berührungen im Genitalbereich können plötzlich unangenehm sein oder der Orgasmus ausbleiben. Diese eher körperlichen Probleme können auch zusammen mit emotionalen Störungen auftreten. Ein verändertes Selbstwertgefühl aufgrund der Krankheit, Angst oder auch Fatigue können sich negativ auf das Sexualleben auswirken. Einmal mehr gilt es: Nicht dafür schämen, darüber reden! Mit Partnerin und Partner, anderen Betroffenen und Ärzten.

Es muss dir nicht peinlich sein, denn Du bist mit diesen Problemen nicht allein. Sprich mit den Menschen, die es wissen müssen bzw. Dir helfen können, denn auch Deine Sexualität ist Teil von Dir und trägt zu Deiner Lebensqualität bei. Es gibt also auch in dieser Hinsicht nichts, was Partner, Partnerin oder Arzt nicht zu interessieren hätte. Denn nur so kann Dir geholfen werden.

Anzeichen, unsichtbare und sichtbare Symptome der MS: Alles kann, nichts muss!

Die Liste der möglichen Symptome, die wir Dir hier gezeigt haben, ist lang. Sie könnte noch länger sein. Das soll dich aber nicht erschrecken, nur sensibilisieren. Je mehr Du über Deine Krankheit weißt, desto besser gelingt es Dir hoffentlich, mit ihr umzugehen. Bei Fragen, Sorgen oder Unsicherheiten zu möglichen MS-Symptomen sprichst Du aber immer am besten mit Deinem Arzt. Das gilt auch in Sachen MS-Therapie, denn inzwischen gibt es zum Glück viele Möglichkeiten, den Verlauf der Krankheit positiv zu beeinflussen.

DE-NONNI-00402 (01/2023)