
Gar kein Problem: MS und Vererbung
Bis vor wenigen Jahren wurde Menschen mit MS noch geraten, besser keine Familie zu gründen. Eines der Hauptargumente: Betroffene könnten ihre chronisch-entzündliche Erkrankung vererben. Heute ist klar: Es gibt kein spezielles MS-Gen. Zwar spielen genetische Faktoren bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle – aber nur eine kleine.
Zukünftige Mütter und Väter geben „ihre“ Multiple Sklerose also nicht direkt an ihre Kinder weiter. Stattdessen können sie lediglich eine Veranlagung vererben.
Das Risiko, die Krankheit genetisch weiterzugeben, ist gering – bei weiblichen und männlichen Betroffenen gleichermaßen. Denn Multiple Sklerose ist keine klassische Erbkrankheit wie Farbenblindheit oder Mukoviszidose. Ob die Erkrankung im Laufe eines Lebens ausbricht oder nicht, hängt auch mit anderen Faktoren zusammen.
Für Dich bedeutet das: Deine Multiple Sklerose ist kein Grund, auf eigene Kinder zu verzichten!
Das MS-Risiko in Zahlen
Doch was sagt die Statistik? Wissenschaftler haben untersucht, wie wahrscheinlich ein Krankheitsausbruch bei unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden ist. Bei einem erkrankten Elternteil liegt die Wahrscheinlichkeit bei zwei Prozent, das heißt: 98 Prozent aller Kinder, deren Mutter oder Vater Multiple Sklerose haben, entwickeln in ihrem Leben keine MS. Sind beide Partner erkrankt, ist die Wahrscheinlichkeit etwas höher: 20 Prozent.
Das höchste Risiko haben eineiige Zwillinge. Entwickelt einer von ihnen eine Multiple Sklerose, erkrankt der andere mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent.
Die Zahlen zeigen es: Erbliche Faktoren spielen bei der Entstehung von MS nur eine untergeordnete Rolle. Andere Einflüsse wiegen schwerer, etwa Umwelteinflüsse. Das sind Faktoren, die unabhängig von der Vererbung dazukommen.
Es ist ein Mythos, dass MS-Erkrankungen und Kinderwunsch nicht zusammenpassen
Wenn es Dein Wunsch ist, Mutter oder Vater zu werden, dann lass ihn Dir von Deiner Erkrankung nicht nehmen. Aus medizinischer Sicht spricht grundsätzlich nichts dagegen.
Wenn Du Dir Kinder wünschst, aber Zweifel hast, kannst Du deine genetischen Informationen untersuchen lassen. Der genaue Blick auf Deine erblichen Faktoren kann Dir helfen, Sorgen und Befürchtungen aus dem Weg zu räumen.
Haben schwangere MS-Patientinnen ein höheres Schubrisiko während der Schwangerschaft?
Eine Schwangerschaft begünstigt nicht das Fortschreiten der MS. Im Schnitt nimmt die Schubrate während einer Schwangerschaft sogar eher kontinuierlich ab. Allerdings steigt das Risiko für Schübe unmittelbar nach der Geburt häufig an und sinkt dann langfristig wieder auf das Niveau, das vor der Schwangerschaft bestand. Nur rund ein Viertel aller schwangeren MS-Patientinnen erleben während der Schwangerschaft einen Schub. Dieser kann mit Kortison-Präparaten behandelt werden.
Es gibt zudem keine Hinweise darauf, dass MS das Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft, für bspw. Blutungen oder für Fehlgeburten erhöht. Für die Geburt stehen Dir alle Optionen offen – wie bei nichterkrankten Frauen auch. Ob Kaiserschnitt oder natürliche Geburt, die Entscheidung kannst Du unabhängig von der MS mit Deinem Arzt treffen. Auch eine Narkose über das Rückenmark (Periduralanästhesie, PDA) ist mit MS möglich.
Nach der Schwangerschaft: Die Stillzeit mit MS
Stillen fördert nicht nur die Bindung zwischen Dir und Deinem Kind. Es schützt Dein Baby in den ersten Wochen auch vor Krankheitserregern. Denn in der Muttermilch sind Antikörper enthalten, die zum Aufbau des Immunsystems beim Kind beitragen. In der so genannten Vormilch, in Fachkreisen Kolostrum genannt, sind sogar noch weitere Abwehrstoffe enthalten, die zu einer besseren Abwehr von Infektionen beitragen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, zirka 4 bis 6 Monate voll zu stillen. Es gibt Untersuchungen, die einen moderaten positiven Effekt von ausschließlichem Stillen auf die Schubrate nach der Geburt zeigen.
Stillen kann das MS-Schubrisiko nach der Schwangerschaft reduzieren
Studienergebnisse zeigen, dass Mütter, die ihre Kinder zwei Monate nach der Geburt ausschließlich stillten, seltener einen Schub erlitten, als Mütter, die ihre Kinder nicht stillten oder neben dem Stillen mit Beikost fütterten. Der Grund: Ausschließliches Stillen zögert den Beginn des weiblichen Zyklus nach der Geburt hinaus. Sobald sich der Hormonhaushalt nach der Geburt wieder eingependelt hat und die Periode bei Frauen mit MS einsetzt, steigt ihre Gefährdung für einen Schub an. Warum das so ist, wurde bisher noch nicht eindeutig geklärt. Es wird vermutet, dass während des Zyklus ausgeschüttete Zytokine – vom menschlichen Körper hergestellte Eiweiße – das Schubrisiko erhöhen. Stillen kann somit den ersten Schub nach der Schwangerschaft zurückhalten.
Eventuell auftretende Schübe können auch in der Stillzeit mit hochdosierten Kortikosteroiden behandelt werden. Danach wird allerdings eine Stillpause von 4 Stunden empfohlen.
Was tun, wenn ich nicht stillen kann?
Solltest Du aus gesundheitlichen Gründen nicht stillen können, ist es wichtig, dass Du mit Deinem Arzt besprichst, wann Du nach der Geburt wieder mit Deiner Therapie startest. Ein früher Start kann das Risiko, einen Schub zu erleiden, senken. Mit Deiner Hebamme oder Deinem Arzt kannst Du besprechen, welche Alternativen es für die Ernährung Deines Babys gibt.
Kinderwunsch unter MS-Therapie?
Viele Patientinnen fragen sich, ob sie schon bei der Planung einer Schwangerschaft oder währenddessen die MS-Therapie unterbrechen sollen. Diese Frage lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Es kommt dabei vielmehr auf die individuelle Therapie an.
Die meisten Medikamente sind während einer Schwangerschaft oder in der Stillzeit nicht oder nur eingeschränkt zugelassen. Bestimmte MS-Medikamente können, wenn klinisch erforderlich, nach Abwägung von Risiko und Nutzen durch den Arzt auch während dieser Zeiten eingesetzt werden. Bei anderen Therapieformen gibt es die Option eine therapiefreie Zeit für eine Schwangerschaft und die Stillzeit zu nutzen. Durch den langanhaltenden Therapieeffekt, besteht hierbei die Möglichkeit, unter Therapieschutz auch ohne weitere Verabreichung des MS-Medikamentes schwanger zu werden und Dein Kind zu stillen.
Nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern kommt die Frage auf, ob und inwiefern Ihre MS-Therapie einen Einfluss auf die Familienplanung hat. Die meisten aktuell verfügbaren MS-Medikamente haben keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Jedoch sollte auch hier der Zeitpunkt der Zeugung geplant werden, da bei einigen Therapien eine Verhütung zum Einnahme-/Verabreichungszeitpunkt notwendig ist.
Wichtig ist, dass Du und Dein/e Partner/in mit einem Frauenarzt und Deinem Neurologen sprecht, bevor Ihr versucht, ein Kind zu bekommen. Sie können Euch eingehend, auch im Hinblick auf den Umgang mit eurer Therapie vor, während und nach der Schwangerschaft beraten.
DE-NONNI-00719 Stand 02/2024