Welche Therapiemöglichkeiten für MS gibt es aktuell?

Inzwischen sind viele Therapiemöglichkeiten für die Behandlung der MS verfügbar, die sich hinsichtlich des Wirkmechanismus und der Art und Häufigkeit der Verabreichung unterscheiden. Allen gemeinsam ist, dass sie den Krankheitsverlauf der MS positiv beeinflussen können. Allerdings gibt es je nach Verlaufsform verschiedene Wirkstoffe, die in Frage kommen. Zusätzlich spielen die individuelle Lebensgestaltung und Bedürfnisse des Patienten bei der Behandlung eine wichtige Rolle.

MS-Verlaufsformen

Um eine Entscheidung im Hinblick auf die Wahl der MS-Therapie fällen zu können, ist es wichtig, die Verlaufsform der Erkrankung zu kennen. Die Therapie der MS soll im besten Fall das Fortschreiten der Krankheit aufhalten und Beeinträchtigungen möglichst lange verhindern. MS kann grundsätzlich in drei Verlaufsformen auftreten: als schubförmig-remittierende, sekundär chronisch-progrediente und primär chronisch-progrediente Form.

Bei der schubförmig-remittierenden MS (Relapsing Remitting Multiple Sclerosis, RRMS) tritt die MS in wiederkehrenden Krankheitsschüben auf. Bei Beginn der Erkrankung können u. a. Sehstörungen, Fatigue und Taubheitsgefühle zu den ersten Symptomen solcher Schübe zählen. Nach einem Schub klingen die Symptome in der Regel ab. Dennoch kann die Krankheit im Verborgenen voranschreiten, so dass die Beschwerden mit der Zeit zunehmen können. Dadurch kann eine RRMS chronisch werden und in eine sekundär chronisch-progrediente MS (Secondary Progressive Multiple Sclerosis, SPMS) übergehen. Hierbei treten Schübe zwar seltener auf, die Symptome bzw. Beschwerden klingen jedoch nach einem Schub nicht mehr vollständig ab, sondern nehmen stattdessen kontinuierlich zu.

Bei der primär chronisch-progredienten Form (Primary Progressive Multiple Sclerosis, PPMS) verschlechtert sich die Erkrankung von Beginn an kontinuierlich, ohne dass dabei Schübe auftreten.

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Zu beachten ist, dass der Krankheitsverlauf einer MS höchst individuell und unterschiedlich sein kann. Und sich weder die Art oder Schwere der Symptome, noch die Abstände oder Dauer der Schübe, vorhersagen lassen. Daher muss die Therapie möglichst ideal auf und vor allem mit dem Patienten abgestimmt sein.

Bitte besprich mit deinem Arzt welche Therapiemöglichkeiten es für Deine MS-Verlaufsform gibt und welche für Dich in Frage kommen.

Therapieoptionen

Bei der Behandlung von MS unterscheidet man zwischen den folgenden Therapietypen:

  • Bei der Schubtherapie soll die aktive Entzündung gestoppt werden, wodurch das Ausmaß des Schubs reduziert werden soll.
  • Verlaufsmodifizierende Therapien sollen künftige Schübe möglichst verhindern oder deren Häufigkeit und/oder Schwere reduzieren.
  • Die symptomatische Therapie soll Symptome der MS abmildern.

Das Zusammenspiel der 3 Therapietypen ist bei der Kontrolle der Krankheits- und Entzündungsaktivität wichtig, um den Krankheitsfortschritt zu verzögern, sodass Deine Lebensqualität und Deine Fähigkeiten erhalten bleiben. Da der überwiegende Teil der Entzündungsprozesse bei der MS unbemerkt ohne Schübe oder erkennbare Symptome abläuft, ist die verlaufsmodifizierende Therapie von besonderer Bedeutung, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Je nach Verlaufsform der MS können unterschiedliche verlaufsmodifizierende Therapien in Betracht gezogen werden. Gerade bei einer (hoch-)aktiven Verlaufsform ist ein früher und effektiver Einsatz der verlaufsmodifizierenden Therapie essenziell, um das Fortschreiten der Erkrankung nach der Strategie "hit hard and early" möglichst frühzeitig zu bremsen.

Die verlaufsmodifizierenden Therapien können in Impuls- und Dauertherapien unterteilt werden. Bei der Impulstherapie wird das Medikament nur in bestimmten Einnahmephasen eingenommen, jedoch bleibt die Wirkung auch in den einnahmefreien Phasen weiterhin bestehen. Es soll ein möglichst langanhaltender Therapieeffekt erzielt werden. Dabei werden bestimmte Abwehrzellen, die vorher bei der Autoimmunreaktion gegen den Körper agiert haben, gezielt reduziert werden. Dadurch erfolgt ein „Reset“ des Immunsystems und neugebildete Abwehrzellen richten sich nicht mehr gegen den eigenen Körper.

Bei der sogenannten Dauertherapie muss das Medikament in regelmäßigen Abständen verabreicht werden, um die Wirkung auf das Immunsystem aufrecht zu erhalten. Die Häufigkeit der Einnahme reicht je nach Präparat von mehrmals täglich bis alle 6 Monate. Dabei werden bestimmte Abwehrzellen in ihrer Funktion gezielt unterdrückt oder in ihrer Funktion moduliert, um eine weitere Schädigung des Nervensystems zu verhindern.

Die Wahl zwischen einer Impulstherapie und einer Dauertherapie hängt nicht nur von der MS-Verlaufsform und der Krankheitsaktivität, sondern auch von Dir persönlich ab. Diese Fragen solltest Du Dir stellen oder gemeinsam mit Deinem Arzt besprechen:

  • Möchtest Du Deine Medikamente zuhause und selbstständig, evtl. auch mit einer Erinnerung, einnehmen? Oder möchtest Du bei der Verabreichung bzw. Einnahme direkt unterstützt werden, z. B. in einer Praxis?
  • Möchtest Du das Medikament täglich einnehmen oder wünschst Du Dir Behandlungspausen?
  • Was sind Vor- und Nachteile der jeweiligen Therapie in Bezug auf deine Lebenssituation und -ziele?

Verabreichungsformen

Bei der Therapiewahl ist außerdem zu bedenken, wie das Medikament verabreicht wird. Es gibt drei unterschiedliche Formen der Verabreichung:

  • Infusion: Der Wirkstoff wird in die Vene verabreicht. Die Verabreichung übernimmt in der Regel medizinisches Fachpersonal, das Dir bei Deiner Therapie zur Seite steht.
  • Injektionen: Dabei wird der Wirkstoff in die obere Hautschicht (subkutan) oder in den Muskel (intramuskulär) gespritzt.
  • Oral: Das Medikament wird in Form von Tabletten oder Kapseln eingenommen.

In der folgenden Abbildung findest Du einen Überblick über die aktuell verfügbaren MS-Therapieoptionen mit Art und Häufigkeit der Anwendung über einen 4-Jahres-Zeitraum.

Indikation 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr (als Schaltjahr angenommen)
Cladribin-Tabletten
4-5 Tage in 1. und 5. Woche, jeweils im 1. und 2. Jahr 1 x täglich
Hochaktive RMS, rSPMS x 8-20 x 8-20 Einnahmefreie Phase Einnahmefreie Phase
Dimethylfumarat
2 x täglich
RRMS x 730 x 730 x 730 x 732
Diroximelfumarat
Woche 1: 2 x 1 täglich
Ab Woche 2: 2 x 2 täglich
RRMS x 1.446 x 1.460 x 1.460 x 1.464
Fingolimod
1x täglich
Hochaktive RRMS x 365 x 365 x 365 x 366
Ozanimod
1x täglich
RRMS mit aktiver Erkrankung x 365 x 365 x 365 x 366
Ponesimod
1x täglich
RMS mit aktiver Erkrankung x 365 x 365 x 365 x 366
Siponimod
1x täglich
SPMS mit Krankheitsaktivität x 365 x 365 x 365 x 366
Teriflunomid
1x täglich
RRMS x 365 x 365 x 365 x 366
Alemtuzumab
5 Tage im 1. Jahr
3 Tage im 2. Jahr
(12 Monate nach 1. Behandlung)
1 x täglich
Hochaktive RRMS mit aktiver Erkrankung x 5 x 3 Einnahmefreie Phase* Einnahmefreie Phase*
Natalizumab**
1x Pro Monat
Hochaktive RRMS mit aktiver Erkrankung x 12 x 12 x 12 x 12
Ocrelizumab
Initial je 1 Infusion in 1. und 3. Woche, danach alle 6 Monate
RMS mit aktiver Erkrankung, PPMS, rSPMS x 3 x 2 x 2 x 2
Ublituximab
Initial 1 Infusion in Woche 1 und 3, danach alle 24 Wochen
RMS mit aktiver Erkrankung x 4 x 2 x 2 x 2
Glatirameracetat
Fertigspritze zur subkutanen Injektion
20 mg/l: 1 x täglich
40 mg/l : 3 x pro Woche
(mind. 48 h Abstand)
RRMS x 365/156 x 365/156 x 365/156 x 366/156
Interferon beta 1-a
Subkutane Injektion
3 x pro Woche
CIS, RRMS, rSPMS x 156 x 156 x 156 x 156
Interferon beta 1-a
Intramuskuläre Injektion
1 x pro Woche
CIS, RRMS x 52 x 52 x 52 x 52
Interferon beta 1-b
Subkutane Injektion
Alle 2 Tage
CIS, RRMS, rSPMS x 183 x 183 x 183 x 183
Ofatumumab
Lösung zur subkutanen Injektion
Erste 3 Wochen: 1 x pro Woche
Ab 4. Woche: 1 x pro Monat
RMS mit aktiver Erkrankung, rSMPS x 15 x 12 x 12 x 12
Peginterferon beta 1-a
Subkutane Injektion
Alle 2 Wochen
RRMS x 26 x 26 x 26 x 26

CIS: Klinisch isoliertes Syndrom (Clinically Isolated Syndrom)
RMS: Schubförmige Multiple Sklerose (Relapsing Multiple Sklerosis)
RRMS: Schubförmige remittierende Multiple Sklerose (Relapsing Remitting Multiple Sklerosis)
rSMPS: Sekundär progrediente Multiple Sklerose mit aufgesetzten Schüben (Relapsing Secondary Progressive Multiple Sklerose)
PPMS: Primär progrediente Multiple Sklerose (Primary Progressive Multiple Sklerosis)

* Bis zu zwei zusätzliche Behandlungsphasen können nach Bedarf in Betracht gezogen werden.
** Unterschiedliche Injektionsarten: intravenös (Infusion) oder subkutan (unter die Haut).

Welche Verabreichungsformen für Dich in Frage kommen, hängt von vielen Faktoren ab – auch von Deinen individuellen Bedürfnissen. Folgende Fragen solltest Du in Betracht ziehen:

  • Hast Du Schluckbeschwerden, die das Einnehmen von Tabletten erschweren?
  • Hast du Angst vor Nadeln?
  • Möchtest Du Dir das Medikament selbst verabreichen?

Individuelle Faktoren

Nicht zuletzt spielen aber bei Deiner Entscheidung für eine Therapie Deine Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse eine wichtige Rolle:

  • Bist Du viel unterwegs oder verreist Du gerne?
  • Wie sieht Deine berufliche Situation aus? Bist Du vielleicht sogar in Schicht- oder Wochenendarbeit tätig?
  • Wie wichtig ist es Dir, im Alltag nicht oder nur wenig an Deine Therapie denken zu müssen?
  • Wie sieht Deine Familienplanung kurz- und mittelfristig aus?

Fakt ist: Damit eine MS-Therapie möglichst ideal für Dich passt, muss sie sich an Deinem Krankheitsverlauf, sowie an Deinen individuellen Bedürfnissen und der aktuellen Lebenssituation orientieren. Gemeinsam mit Deinem Arzt wählt ihr eine für Dich passende MS-Therapie. Unabhängig davon, für welche Therapie Du Dich entscheidest, ist es wichtig, dass auch in symptomfreien Zeiten der Behandlungsplan eingehalten wird, denn auch in dieser beschwerdefreien Zeit kann die MS weiter voranschreiten.


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