Definition: Was sind Spastiken?

Der Begriff Spastik leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet übersetzt „Krampf“. Dabei handelt es sich um eine Erhöhung der Muskelspannung, dem sogenannten Muskeltonus, die den Muskel versteifen, verkrampfen oder lähmen kann. Spastiken können mit einem Schwere- und Spannungsgefühl einhergehen.

Was passiert bei einer Spastik?

Eine Spastik ist nicht zu verwechseln mit einer gewöhnlichen Muskelverkrampfung, wie Du sie beispielsweise vom Sport kennst. Sie wird durch die MS-bedingte Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS) hervorgerufen. Betroffen sind Nervenbahnen, die über Gehirn und Rückenmark die Aktivität der Skelettmuskulatur steuern. Normalerweise senden diese Nervenbahnen stimulierende oder hemmende Impulse. Durch die Schäden können die Impulse nicht mehr fehlerfrei auf die Muskeln übertragen werden – insbesondere die hemmenden Impulse fallen weg.

In der Folge sind die Muskeln entweder dauerhaft angespannt oder ziehen sich anfallsartig zusammen. Die Muskelaktivität kann nicht mehr willentlich kontrolliert werden. Spastiken können sehr schmerzhaft sein, besonders nachts, und die körperliche Beweglichkeit einschränken.

Wie häufig sind Spastiken bei MS?

Spastiken zählen zu den häufigsten Symptomen der MS: Rund 70 Prozent der Patientinnen und Patienten sind davon betroffen. Sie treten meist im fortgeschritten Krankheitsverlauf auf. Häufig werden sie von einer Muskelschwäche (Parese) begleitet. Grundsätzlich kann fast jeder Muskel spastisch werden, meist sind jedoch die Muskeln der Beine betroffen. Betroffene können dann beispielsweise die Knie nicht mehr richtig beugen oder die Füße nicht mehr heben. Etwas weniger häufiger sind die der Arme betroffen.

Welche Arten der Spastik gibt es?

Bei einer Spastik kann der Muskeltonus permanent erhöht sein, das heißt, der Muskel ist dauerhaft angespannt. Man spricht dann von einer tonischen Spastik. Die Muskeln können sich aber auch anfallsartig, oft mehrfach hintereinander zusammenziehen. Eine solche phasische Spastik kann eine unterschiedliche Frequenz und Dauer haben und besonders schmerzhaft sein.

Was sind die Auslöser von Spastiken?

Spastiken können spontan auftreten oder durch Reize von außen ausgelöst werden, zum Beispiel, wenn Du mit dem nackten Fuß den kühlen Boden berührst. Weitere Faktoren, die Spastik auslösen oder verstärken können, sind

  • Schmerzen,
  • Fieber, zum Beispiel im Rahmen von Infektionskrankheiten oder einer Grippe,
  • Magen-Darm-Störungen oder
  • wunde Druckstellen der Haut (Dekubitus).

Außerdem können psychische Faktoren wie Stress, Trauer, Angst oder Verzweiflung die Muskelkrämpfe auslösen oder verschlimmern.

Welche Folgen kann eine Spastik haben?

Neben den Schmerzen zählen Bewegungseinschränkungen und damit Einschränkungen der Mobilität, bis hin zur Behinderung , zu den gravierendsten Folgen der Spastiken. So kann sich bei Betroffenen beispielsweise die Gehfähigkeit verschlechtern: Der Gang wird unsicherer, die Gehstrecke, die zurückgelegt werden kann, wird kürzer. Auch die Feinmotorik kann gestört sein, sodass alltägliche Tätigkeiten wie Kochen und Backen schwieriger auszuführen sind. Betroffene benötigen Hilfsmittel, um ihren Alltag besser bewältigen zu können.

Weitere mögliche Folgeschäden sind

  • schmerzhafte Fehlhaltungen,
  • Muskel- und Sehnenverkürzungen,
  • Verschleißerscheinungen an Gelenken
  • Schwierigkeiten beim Entleeren der Blase bzw. Inkontinenz,
  • Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr und
  • Schlafstörungen. Gut zu wissen: In bestimmten Fällen kann eine Spastik auch Auswirkungen haben, die Betroffenen helfen können. So kann eine Versteifung der Beine beispielsweise deren Belastungsfähigkeit erhalten, wenn sie andernfalls zu schwach zum Stehen wären. Eine solche Stützfunktion muss bei der Planung der Therapie berücksichtigt werden.

Wie werden Spastiken behandelt?

Nicht jede Spastik muss behandelt werden. Ist sie jedoch sehr behindernd oder schmerzhaft, gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Linderung. Die Art der Behandlung ist individuell und hängt unter anderem von der Art der Beschwerden sowie dem Schweregrad ab.

Die Behandlung hat das Ziel, Betroffenen eine höhere Lebensqualität und den Erhalt der Selbstständigkeit zu ermöglichen. Die Therapie soll daher unter anderem die Bewegungsfähigkeit sowie die feinmotorischen Fähigkeiten verbessern beziehungsweise erhalten. Durch die Spastik ausgelöste Schmerzen sollen gelindert und Folgeschäden wie Muskelverkürzungen verhindert werden.

Nicht-medikamentöse Behandlung:
Neben der Vermeidung von Faktoren, die eine Spastik auslösen können, gibt es eine Reihe von Maßnahmen zur Behandlung von Spastiken. Sie müssen individuell auf die körperliche Gesamtsituation der Betroffenen abgestimmt werden.

1. G
ezielte Krankengymnastik bei Spastiken
Eine der wichtigsten Maßnahmen ist eine intensive, regelmäßig durchgeführte Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage . Diese Art der Physiotherapie umfasst verschiedene Methoden zur Behandlung von Bewegungsstörungen, die durch Schädigungen des zentralen Nervensystems ausgelöst werden (zum Beispiel Therapie nach Bobath). Ein Hauptziel der Behandlung ist es, gesunde Bewegungsabläufe zu fördern beziehungsweise wieder neu zu erlernen.
Die Krankengymnastik beziehungsweise Physiotherapie wird zwei- bis dreimal pro Woche empfohlen . Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, die helfen können. Dazu gehören zum Beispiel auch therapeutisches Reiten (Hippotherapie).

2. Hilfsmittel bei Spastiken
Ergänzend zur Physiotherapie können verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz kommen, die unter anderem zur Stützung, Führung oder Entlastung der Gelenke, Knochen und Muskeln beitragen. Zu diesen Hilfsmitteln zählen unter anderem Orthesen . Sie umschließen Gelenke von außen und dienen in erster Linie dazu, die entsprechenden Körperteile zu stabilisieren, also ruhig zu stellen oder kontrolliert zu mobilisieren. Häufig werden sie individuell angepasst. Zu den Orthesen werden meist auch Schienen gezählt (oft wird hier auch der englische Begriff „Splints“ verwendet), welche die Beweglichkeit des betroffenen Körperteils möglichst vollständig einschränken sollen.

Medikamentöse Behandlung:
In schweren Fällen kann die Physiotherapie durch bestimmte Medikamente unterstützt werden. Dazu stehen verschiedene Wirkstoffarten zur Verfügung.

1. Antispastika
Diese Arzneimittel hemmen im ZNS die gestörte Nervenreizleitung und senken die Muskelspannung. Sie werden meist in Form von Tabletten eingenommen. Die Medikamente sollten individuell und in Absprache mit dem behandelnden Physiotherapeuten dosiert werden.

2. Cannabinoid-haltige Medikamente
Wenn die Antispastika nicht oder nicht ausreichend helfen, können zusätzlich cannabishaltige Medikamente zum Einsatz kommen. Sie greifen in die Reizweiterleitung des ZNS ein und können offenbar Botenstoffe hemmen, die Spastik auslösen. Sie werden als Spray in die Mundhöhle gegeben.

3. Botulinum-Toxin
Das Nervengift ist umgangssprachlich unter dem Namen Botox bekannt. Ist die Spastik lokal begrenzt, kann eine Injektion von Botulinum-Toxin in einzelne Muskelgruppen hilfreich sein.

4. Injektion von Kortison
Diese Methode kommt nur noch selten zum Einsatz. Sie kann in Einzelfällen aber sinnvoll sein.

Ob und welche Medikamente bei Dir zum Einsatz kommen, hängt von Deiner individuellen Situation ab. Bitte sprich dazu mit Deinem behandelnden Arzt.

DE-NONNI-00443, 02/2023